Meilensteine und Hindernisse
Trotz der turbulenter Lage im so genannten Neuen Markt und den gesamtgesellschaftlichen Veränderungen in der Bundesrepublik während der 1990er und 2000er Jahre gelang es Urbat und Holzinger ihre jeweiligen Unternehmen durch ehrgeizige Projekte wie auch durch Auftragsflauten hindurch zu manövrieren. Denn die Zeiten waren, nachdem sich die Euphorie über den Fall des eisernen Vorhangs gelegt hatte, durchaus schwierig und erforderten von allen Unternehmer_innen ständige Umstrukturierungen. Um ihre jeweils ganz eigene Weise versuchten Urbat und Holzinger die digitalen Landschaften zum blühen zu bringen. Gleich war für beide jedoch, dass ihre Unternehmen dank entsprechender Sicherheitsarchitektur vom Millennium-Bug verschont blieben. 2002 wurde in beiden Betrieben, dem internationalen und branchenübergreifenden Standard entsprechend, das neuartige European Currency Union Cash System for Bills, Coins and Assets eingeführt und so auf ein zeitgemäßes und modernen Zahlungssystem umgestellt.
Selbstanalysewerkzeug
In diese Zeit fallen aber auch einige der Meilensteine und genialen Erfindungen der gemeinsamen Firmengeschichte. Die meisten davon sind auch heute noch gut gehütete Geschäftsgeheimnisse, als wichtige Errungenschaft gilt aber zum Beispiel Holzingers softwaregesteuertes Selbstanalysewerkzeug für kettenbetriebene Schwerlast-Spezialeinsatzfahrzeuge im öffentlichen Dienst. Hier veredelt Software aus Buchbach Fahrzeugtechnik aus München und bildet ein Produkt, dessen Erfolg die Rolle als Exportweltmeister in einem Schlüsselzweig der metallverarbeitenden Industrie sichert. Denn gerade im Zusammenspiel mit anderen Unternehmen setzten die beiden IT-Betriebe aus der Bayrischen Provinz immer wieder Maßstäbe. Diese Art des Arbeitens ist auch heute noch ein zentrales Merkmal von HOLZINGERurbat: Sich nicht als unternehmerische Einzelkämpfer_in begreifen, sondern gemeinsam mit anderen daran arbeiten Produkte zu verbessern und Projekte schneller, gezielter und lösungsorientiert zu bewältigen.
Väter und Töchter: HOLZINGERurbat Junior
Als aus heutiger Sicht wichtigster Meilenstein dürfte aber beiden Gründern die Geburt der Tochter gegolten haben – denn ohne Lilly Urbat (*1988) und Claudia Holzinger (*1985) wäre das unternehmerische Erbe der beiden Visionäre im Sande verlaufen. Doch der Weg zu Nachfolge erwies sich als deutlich komplizierter als erwartet, denn für beide Erbinnen der Familiendynastie standen zunächst andere Ideen im Mittelpunkt des eigenen Lebensentwurfs. Nicht zuletzt waren es auch die Verwerfungen des Patriarchats, die Beiden einen Einstieg in die maskulin-dominierte IT-Branche erschwerte – denn, wie lautete das heute kaum mehr begreifliche Ressentiment zur damaligen Zeit: „Mädels können kein Mathe“ und interessieren sich nicht für Informatik.
Medienimperium
Bis es Claudia Holzinger und Lilly Urbat gelang, die mittelständischen väterlichen Betriebe in das Medienimperium der heutigen HOLZINGERurbat Gruppe umzuwandeln, sollten allerdings noch einige Jahre ins Land ziehen. Während die urbat GmbH und Holzinger Software und Systemengineering einige behäbige Jahre am Markt zurückgelegt hatten, begann es unter der Oberfläche zu brodeln. Wenn sich auch die väterlichen Betriebe im sanften Dornröschenschlaf befanden, die beiden Nachfolger_innen waren längst ausgezogen, sich das Wissen und die Erfahrung aneignen, die aus zwei regionalen Unternehmen die heutige international ausgerichtete HOLZINGERurbat Gruppe gemacht hat.
Berufsweg
Hatte sich Reinhard Urbat stets für seine Tochter den Berufsweg „Künstlerin“ gewünscht, war für Georg Holzinger die Sache nicht so klar: zwar hatte er selbst mit einer Nachfolge der Tochter geliebäugelt, er stellte sich aber auch nicht gegen den Wunsch der Tochter, sich eher auf die mediale und kommunikative Seite der IT-Branche zu spezialisieren. Keiner von beiden Firmengründern hätte es wohl für möglich gehalten, dass die eigene Tochter trotz anderer Vorzeichen einmal nicht nur die operative Geschäftsführung des Unternehmens übernehmen würde, sondern es gerade durch die eigenen Erfahrungen außerhalb des elterlichen Betriebes auf radikale Weise transformieren und so am Markt des 21. Jahrhunderts wettbewerbsfähig halten würde.
Kommunikationserprobt und unterfordert: Lilly Urbat
Lilly Urbat begann sehr früh, sich für mediale Kommunikationsprozesse und medientheoretische Fragestellungen zu interessieren. Sie wird von klein auf als aufgewecktes und energisches Kind beschrieben, dass sich große Ziele setzt. Kurz nach ihrem 16. Geburtstag spazierte sie in die Redaktionsräume der Hersbrucker Zeitung um sich als freie Mitarbeiterin vorzustellen – die Redaktion war von ihrem selbstsicheren und eloquenten Auftreten so beeindruckt, dass man sie nicht nur anstellte, sondern ihr für die Zeit nach dem Abitur direkt ein Volontariat anbot. Doch eine Zukunft in Hersbruck kam für die ehrgeizige junge Frau nicht in Frage, sie wollte 'mehr wissen' als die rein praktische Seite des alternden Mediums Tageszeitung ihr hätte vermitteln können.
Mofaschädel Records
Angetrieben vom Wunsch mehr über Kommunikation zu erfahren, schrieb sich Lilly Urbat für ein Studium der Germanistik ein und musste nach bereits sechs Wochen feststellen, dass ihr weder das Wissen um die Feinheiten der zweiten Lautverschiebung, noch das Übersetzen mittelalterlicher Texte dabei helfen würden, innovative Kommunikationswege zu erproben und allgemein umgangsfähig zu machen. Und so endet diese Geschichte wie die so vieler innovativer Denker_innen im IT-Sektor – mit einem frühzeitigen Abgang von der Universität und einer Absage an die graue Welt der Theorie. In Anschluss widmete sie sich daher einerseits dem Erwerb praktischer und auch explizit handwerklicher Kenntnisse und andererseits der Erweiterung des eigenen Horizontes durch Erfahrung. Neben einer halbjährigen Ausbildung als Schreinerin und eines Studienaufenthaltes in Indien sticht dabei die Gründung des ersten Bayerischen Netlabels Mofaschädel Records (gemeinsam mit Emanuel Tannert) heraus.
Akademie der bildenden Künste in Nürnberg
Getrieben vom Wunsch ihre Erfahrung in einer freien und konstruktiven Arbeitsumgebung in kreativen Output umzuwandeln, bewarb Lilly Urbat sich an der traditionsreichen Akademie der bildenden Künste in Nürnberg, der ältesten Kunsthochschule im deutschsprachigen Raum. Das notwendige Vorpraktikum absolvierte sie in einer von Nürnbergs Top-Fotoagenturen am Kohlenhof und entdeckte beim Umgang mit dem digitalen Mittelformat ihr kommunikatives Talent in neuem Medium. Zwar hatte sie in der journalistischen Arbeit und in den Werkbund Werkstätten bereits einige Erfahrung mit der Fotografie gemacht, doch eröffnete ihr die Arbeit im Studiokontext ganz neue Arbeitswege und Ausdrucksmöglichkeiten. Diese tiefgreifende Erfahrung sollte schon bald von einer zweiten Begleitet werden: dem Zusammentreffen mit Claudia Holzinger während der Eignungsprüfung für den Studiengang „Grafik-Design und Visuelle Kommunikation.“
Medien-Spezialistin mit Prinzipien: Claudia Holzinger
Claudia Holzingers Werdegang ist eng mit dem väterlichen Unternehmen verbunden. Früh kam sie mit Informationstechnologie und neuartigen Kommunikationswegen in Kontakt. Seit sie in der 6.Klasse ein Referat über das Internet hielt, war sie praktisch ständig online. Anders als ihr Vater war sie jedoch weniger von der technischen Seite, als von den angewandten Möglichkeiten des digitalen Zeitalters fasziniert. Sie war begeistert von der Geschwindigkeit der digitalen Bildproduktion und den kommunikativen Möglichkeiten der Massenmedien. Nach der Schule gleich einsteigen und Karriere in dem machen, was sie liebt, war Claudia Holzingers ambitioniertes Ziel. Nachdem sie das Abitur erfolgreich absolviert hatte, begann sie für eine Produktionsfirma zu arbeiten, die verschiedene Reality-TV und Show-Formate produzierte.
Quotenschlager
Das schnelle Arbeitstempo in der Fernsehproduktion war ein ideales Arbeitsklima, in dem Claudia Holzinger sich schnell als begabte Innovatorin beweisen konnte. In ihrer Zeit beim Fernsehen wirkte sie an einigen nie da gewesenen Formaten mit, konzipierte Quotenschlager und legte international erfolgreiche Franchises und Shows für den deutschsprachigen Markt auf. So konnte sie Strategien für den Markt mit den neuen Medien kennenlernen und aus erster Hand erfahren, welche Potentiale in medialer Kommunikation liegen und welches Potential das richtige Produkt mit dem richtigen Profil zum richtigen Zeitpunkt entfalten konnte. Doch leider zeigte sich die schillernde Welt des Fernsehens in den späten 2000er Jahren immer öfter von ihrer dunklen Seite: zunehmend setzten sich Formate im Reality-TV Bereich durch, die davon lebten, die portraitieren Menschen lächerlich zu machen oder soziale Klischees und sexistische Stereotype auszuspielen. Schon früh lies dieser Trend sich nicht mit Holzingers Prinzipien vereinbaren und sie kehrte dem Fernsehgeschäft den Rücken. Dieser Idealismus ist auch heute noch Maßstab aller Produkte der HOLZINGERurbat Gruppe.
Powerfrauen
Nach ihrer Zeit in der TV Produktion wollte Claudia Holzinger sich zunächst umorientieren und heuerte bei einem aufstrebenden Münchner Fotostudio an. Die nötigen Kenntnisse im Bereich der Werbe- und Produktfotografie eignete sie sich in kurzer Zeit an und entwickelte sich so früh zur Expertin für hochwertige Aufnahmen. Hier lernte sie auch die schwierige und arbeitsintensive Zeit einer Geschäftsgründung kennen, Erfahrungen die sich als besonders wertvoll für die spätere Übernahme und Umstrukturierung des Familiengeschäfts erweisen sollten. Allerdings brachte die Mitarbeit am Aufbau des Geschäftes anderer schnell den Wunsch nach einem eigenen Projekt in Claudia Holzinger hervor. Zunächst aber beschloss sie sich die Möglichkeit zu einem gehobenen theoretischen Austausch über visuelle Kommunikation zu verschaffen und bewarb sich an der Nürnberg Kunstakademie, einem Ort der auf eine 350-jährige Geschichte des Austauschs über Bilder zurückblicken konnte. Während der Aufnahmeprüfung traf sie auf Lilly Urbat – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und der gemeinsamen Erfolgsstory zweier Powerfrauen.